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Das Einzigartige der Wörle-Orgel Johann Konrad Wörle, „Deutscher“ bzw. „tirolischer Nation“, hielt sich als Orgelmacher in
Rom an die Bauart römischer Orgelpositive, verdichtete sie jedoch und interpretierte sie
Die erste Orgel im Oratorio del Crocifisso baute 1582 Francesco Palmieri, Giuseppe Testa auf seine persönliche Art: Er übernahm die klare Kompaktheit und Strenge der römischen
setzte sie 1660 instand. Schule, ihren Stimmton a1 = 392 Hertz, der etwa einen Ganzton tiefer liegt als das heute
übliche a1 = 440 Hertz. Aus der nördlich der Alpen üblichen Bauweise fügte er das Register
Die Wörle-Orgel wurde 1744 auf der erst kurz zuvor errichteten Empore aufgestellt, Flauto all’Ottava Bassa (andernorts Secondo Principale) hinzu, ähnlich dem deutschen
mittig an der Außenwand. Ihr Prospekt hat oben eine geschwungene, für den Tiroler Gedackt.
Orgelmacher typische Form. Sicherlich gab die gerade, lange und schmale Empore
die Form des Instruments vor. Die Spieleinrichtung liegt an der rechten Schmalseite. Wörle schuf somit wertvolle Kunstwerke. Seine Arbeit ist äußerst genau und
Diese Konstruktion ist für Rom einmalig, ebenso, dass die Registerzüge unterschiedlich sorgfältig. Seine Disposition ist vollkommen. Sein Orgelklang ist lebendig, silbern
positioniert sind. und füllig. Die Temperatur seiner Instrumente ist ungleich schwebend. Sie haben eine
Kernspaltenintonation, d. h. die Intonation nur an der Kernspalte, bei vollem Wind und
Von den 12 Registerzügen liegen zehn waagrecht angeordnet über dem Notenpult und offenem Pfeifenfuß. Ihr Gesamtklang ist sehr angenehm und charaktervoll. Wörles Orgeln
zwei untereinander auf der rechten Seite der Manualklaviatur, in folgender Reihung: sind Kostbarkeiten, in ihrem historischen Wert und in ästhetischer Hinsicht einzigartig.
Große Instrumente kommen an ihre Klangqualität nicht heran, vor allem nicht moderne
Principale – Ripieno (XXII-XXVI-XXIX) – Vigesima Sesta – Vigesima Seconda – Decima N[ona] in gleichschwebender Stimmung.
– Quinta Decima – Flauto in Va – Ottava – Voce Umana – Flauto ottava Bassa (Flauto 8’)
In Rom gab es seit dem 16. Jahrhundert Hunderte von Orgelpositiven. Bis ins 18. Jahrhundert
Tiratutti – [Zampogna in Do (Dudelsack in C, Bordun)]
hinein wurden sie verwendet bei Aufführungen von mehrchöriger Musik. Wir wissen
Diese Disposition könnte auch für eine mittelgroße Orgel (organo da muro) in Italien von musikalischen Großereignissen mit je zwölf Chören und Orgeln oder mit je zehn
passen, wie sie Wörle in Rom für S. Maria Maddalena (1735), S. Maria in Via (1768), SS. Chören, Orgeln und Orchestern bzw. je acht Chören und Orgeln. Die größeren Kirchen
Vincenzo e Anastasio (1776) oder für Otricoli (Provinz Terni, 1748), Leonessa (Provinz Rieti, Roms mieteten während der Fastenzeit solche Instrumente an, um Kompositionen mit
1759), Montefiascone (Provinz Viterbo, 1777) baute. Infolgedessen sind Wörles Positive zwei bis vier oder mehr Chören darbieten zu können, mit überraschenden Stereo- und
völlig kompakt. Quadrophonie-Effekten.
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