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Werke von Komponisten des 18. Jahrhunderts, die in Rom  tätig waren. Dazu kommen   Für die Realisierung eines Partimentos braucht es fundierte satztechnische Kenntnisse,
      anonyme Stücke aus einer italienischen Sammelhandschrift aus der zweiten Hälfte des   zugleich  große  Sensibilität  in  künstlerischer  und  ästhetischer  Hinsicht,  damit  ein
      18. Jahrhunderts, die heute in der Biblioteca Nazionale Centrale Vittorio Emanuele II zu   musikalisch qualitätsvolles Ergebnis zustande kommen kann. Da das Spiel extemporiert
      Rom verwahrt wird (Signatur Mss Musicali 76). Mehrere Schreiber haben sie sukzessive   erfolgt, können zu wiederholende Teile in der Ausführung variieren. Die Melodien der
      gefertigt,  wohl  jeweils  nach  persönlichem  Bedarf  erweitert.  Dadurch  bildet  diese   gesungenen  Textverse  sind  –  entsprechend  allgemeinem  Usus  der  Zeit  –  mit  einer
      Quelle  ein  Kompendium  bzw.  ein  Vademecum  für  Organisten  damals,  und  für  uns   homophon  verlaufenden  Bass-Stimme  unterlegt,  die  der  Organist  zu  harmonisieren
      stellt  sie  heute  einen  Spiegel  des  Repertoires  für  einen  Orgelspieler  zum  kirchlichen   hat. Beide Messen haben in unserer Quelle kein Credo notiert. Dies entspricht damaliger
      Gebrauch im 18. Jahrhundert dar. Ebenso liegt ihre häusliche Verwendung beim Spiel von   Norm,  denn  in  der  Messliturgie  musste  das  Credo  als  zentrale  Glaubensaussage  den
      Tasteninstrumenten nahe: Sie enthält insgesamt 181 Kompositionen, an Vokalstücken zum   kompletten  Text  bringen,  entweder  gesprochen  oder  choraliter  gesungen.  Integrierte
      Beispiel Messen, Hymnen, Antiphonen, an Instrumentalsätzen unter anderem Versetten,   Instrumentalsätze  wie  Elevazione  oder  Postcommunio  waren  früher  ebenfalls  die
      Pastoralen, Charakterstücke oder Tanzsätze wie Allemande, Anglaise, Gigue, zahlreiche   Regel. Im 18. Jahrhundert wurden sie zur Messe während der Wandlung bzw. nach der
      Menuette.  In  der  Nutzung  mögen  sich  Sakrales  und  Profanes  durchaus  gelegentlich   Kommunion zum Schlussgebet gespielt. Aus dieser liturgischen Position erklärt sich ihr
      gekreuzt haben. Genauere Informationen zu dieser für unser Projekt zentralen Quelle   je nachdem weihevoller oder animierter Charakter. Versetten variieren in ihrer Struktur.
      sind  nachzulesen  im  RISM-OPAC  (Répertoire  Internationale  des  Sources  Musicales/  Sie können etwa Motive aus der Choralmelodie aufgreifen, frei gestaltet sein oder, wie
      Internationales Quellenlexikon der Musik - Online Access Public Catalogue), im Internet   die Agnus Dei-Versetten der Missa BMV mit ihrem Siciliano- oder pastoralen Duktus, zum
      unter www.rism.info (Bibliothekssigel I-Rn).                                Charakterstück mutieren.
      Sowohl die Missa Beatae Mariae Virginis (Messe zu Ehren der seligen Jungfrau Maria) als   Außer  den  Messen  bilden  die  hier  aufgenommenen  Vokalwerke  eine  Auswahl  von
      auch die Missa in Dominicis et in Festis Simplicibus (Messe für Sonntage und Simplex-Feste)   Offiziumsgesängen aus der Handschrift I-Rn Mss Musicali 76. Sie gehören liturgisch alle
      sind  Alternatim-Messen.  In  den  Sätzen  des  Ordinariums  wechseln  sich  Orgelspiel  und   zum Stundengebet des Klerus am Abend. Die beiden marianischen Antiphonen Salve
      Choralgesang von Vers zu Vers ab, sie „alternieren“. Zu beiden Messen aus der Handschrift   Regina ( Sei  gegrüßt  o  Königin,  Mutter  der  Barmherzigkeit,  u.  a.  vom  Dreifaltigkeitsfest
      I-Rn Mss Musicali 76 ist die Stimme für die solistischen Orgelpassagen, nämlich die an Stelle   bis zum Ende des Kirchenjahres) und Regina caeli (Freue dich, Himmelskönigin, halleluja,
      eines Text-Verses stehenden Versetten (Versi), im Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus Dei als   vom  Karsamstag  bis  zum  Samstag  nach  Pfingsten)  erklingen  in  ihrer  Choralmelodie,
      Partimento notiert. Das heißt, es ist hier lediglich eine figurenreiche, rhythmisch vielfältig   doch in einer Variante, wie sie im 18. Jahrhundert vielfach üblich ist. Die dazu in unserer
      gestaltete  Bass-Stimme  aufgeschrieben,  dazu  teilweise  eine  Generalbassbezifferung.   Quelle vorgegebene instrumentale Bass-Stimme verläuft homophon, harmonisch in den
      Dies bringt für den Organisten jedenfalls eine Herausforderung mit sich, denn er muss   Hauptfunktionen. Der Organist interpretiert sie nach den Regeln für das Aussetzen eines
      selbst  den  Satz  mit  einer  adäquaten  Melodiestimme  und  Harmonisierung  versehen.   Generalbasses. Den Hymnen Veni Creator Spiritus (Komm Schöpfer Geist, zu Pfingsten)
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