Die "Tiroler Schule"

Engelskopf der Viola von Georg Aman aus Vils tätig in Augsburg

Die als "Tiroler Schule" bezeichnete Tradition des Streichinstrumentenbaus gründet sich auf zwei Säulen: dem internationalen Ansehen Jakob Stainers, dessen Modelle der Geige in geringfügiger Abwandlung für alle Vertreter der Tiroler Schule vorbildhaft und prägend blieb und auf dem über Jahrhunderte auf höchstem Niveau praktizierten Instrumentenbau des kleinen, in unmittelbarer Nähe von Füssen gelegenen Tiroler Städtchen Vils. Die Vilser Lauten- und Geigenbauer wirkten aber nicht nur in ihrer Heimat, wo für die zahlreich tätigen Meister der Bedarf an Instrumenten zu gering war, sondern hatten ihre Werkstätten in vielen Ländern Europas. Die ältesten Vilser Geigenbauer entstammen der Familie Wörle. Franz Wörle ist von 1590 bis 1600 als Geigenbauer in Padua nachgewiesen. Georg Wörle war von 1647 bis 1674 in Augsburg tätig und Nikolaus Wörle, der 1695 in Vils geboren wurde, verlegte seine Werkstätte in das Geigenbauzentrum Mittenwald, wo er einer der besten Meister dieser bedeutenden Zunft wurde. Die vielleicht berühmteste Vilser Geigenbauerfamilie ist die der Eberle. Johann Udalricus Eberle gilt als der bedeutendste Viola d'amore-Bauer. Er wurde 1699 in Vils geboren, wanderte nach Prag aus und starb dort als geachteter Bürger im Jahr 1768. Thomas Eberle (geb. 1721 in Vils) hatte seine Werkstätte von 1750 bis 1792 in Neapel, während sein Bruder Johann Anton Eberle (geb. 1736 in Vils) kurpfälzischer Hofgeigenmacher in Mannheim war. Georg Schonger, 1661 in Vils geboren, errichtete 1690 in Erfurt eine Werkstätte, die als Familienbetrieb über viele Generationen Bestand hatte, während Johann Strobl (geb. 1653 in Vils) den Geigenbau in Hallein begründete. Zu den geachteten Vilser Instrumentenbauern zählen insbesondere auch Antony Posch (geb. 1677) in Vils, der es zum kaiserlichen Hoflautenmacher in Wien brachte und Joseph Doser (geb. 1770 in Vils), der bischöflicher Hofgeigenmacher in Freising war. Einer der vielfältigsten und besten Vilser Meister war unbestritten Georg Aman. Er wurde 1671 in Vils geboren, kam aber schon in jungen Jahren nach Augsburg in die Lehre. Im Jahr 1695 heiratete er die Witwe seines Lehrers Matthias Wörle, dessen Vater Georg ebenfalls aus Vils eingewandert war.

Georg Aman, Viola,
umgearbeitet aus einer
Viola d'amore, Augsburg 1713
Details

Georg Aman baute Lauten, Gitarren, Viole d'amore, Pochetten und Violinen, die aber größtenteils verschollen sind. Seine erhaltenen Instrumente klingen alle vorzüglich. Der Ton ist groß, weich und edel. Ein besonders schönes Beispiel seiner Kunst hat sich in der Instrumentensammlung des Ferdinandeums erhalten. Die zu einer Viola umgearbeitete Viola d'amore stammt aus dem Jahr 1713 und wurde 1907 für das Ferdinandeum erworben. Anstelle der Schnecke befindet sich ein kunstvoll geschnitzter zierlicher Engelskopf.

Vils, anonymes Aquarell, 1901, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek W.25827; Vor der Kirche das Haus der Geigenbauerfamilie Petz

Der Vilser Geigenbau im 18. und 19. Jahrhundert wurde hauptsächlich von Mitgliedern der Familien Petz und Rief geprägt. Im Unterschied zu ihren Vorgängern verblieben sie über alle Generationen in Vils ansässig und fanden dort ihr Auslangen. Der bedeutendste Vertreter dieser Epoche ist unzweifelhaft Dominikus Rief (1759-1814), dessen Geigen nach Ansicht von Fachleuten in ihrer Art mit ihren schönen dunklen Lack und der etwas herben, aber technisch vollkommen beherrschten Schnitzarbeit durchaus meisterhafte Beispiele des Tiroler Geigenbaus darstellen. Das Ferdinandeum besitzt von Dominikus Rief zwei repräsentative Instrumente, eine am Griffbrett mit Bein reich verzierte Viola aus dem Jahr 1802 und eine erst jüngst erworbene sorgfältig gearbeitete Violine, die auf dem originalen Geigenzettel mit 1806 datiert ist.

Dominikus Rief,
Viola, Vils 1802
Inv.-Nr. 44

Dominikus Rief,
Violine, Vils 1806
Inv.-Nr. 352

Aus Außerferner Tradition hat sich auch ein sehr schönes Violoncello von Anton Hauser erhalten, der um 1726 in Reute geboren wurde und im hohen Alter "80 Jahre alt" 1806 in seinem Heimatort verstarb. Dieses Violoncello aus dem Jahr 1794 ist außer einer Viola in Tiroler Privatbesitz das einzige derzeit bekannte Instrument Hausers. Es ist auch darum besonders wertvoll, weil es weitgehend original erhalten ist.

Anton Hauser,
Violoncello, Reutte 1794
Inv.-Nr. 94
Details

Der in Seefeld geborene und tätige Geigenbauer Konrad Zunterer (1717-1778) war vor allem für seine Kontrabässe bekannt, deren Ton als vorzüglich gerühmt wurde. Nach jetzigem Forschungsstand haben sich zwei Bässe überliefert. Ein Kontrabass, allerdings verstümmelt mit abgeschnittener Schnecke befindet sich im Servitenkloster Innsbruck, so dass der im Ferdinandeum verwahrte Kontrabass mit dem prachtvollen Löwenkopf das einzige komplett erhaltene Instrument Zunterers repäsentiert. Dieser Kontrabass kam über das Kloster Ettal in die Pfarrkirche nach Sterzing und wurde 1913 vom damaligen Sterzinger Pfarrer Theodor Franz Helff-Hibler von Alpenheim dem Ferdinandeum als Geschenk übergeben.

Konrad Zunterer,
Kontrabass, Seefeld 1775
Inv.-Nr. 105
Details

Neben dem überragenden Jakob Stainer zählt Matthias Alban (1634-1712) aus Kaltern zum bedeutendsten Vertreter der Tiroler Schule. Seine frühen Instrumente sind völlig nach dem Modells Stainers geformt, so dass vielfach angenommen wurde, er sei jener Schüler gewesen, den Stainer 1670 als "Lerner" in seine Werkstatt aufgenommen hatte. Später, nach 1680, nahm er sich mehr die Italiener zum Vorbild, behielt aber dabei die Besonderheiten der Tiroler Schule bei und formte somit ein eigenständiges Modell, welches durch seine künstlerisch schöne Form und vor allem wegen des prächtigen Tones sogar mit den Erzeugnissen des Nicolo Amati konkurrieren konnte. Neben Amatis und Stainers Geigen galten sie im 18. Jahrhundert als die besten, die man kannte; daher wurde sein Name auch vielfach missbraucht und in Geigen angebracht, die nicht einmal von ferne an seine Arbeit erinnern. Albans Geigen zählten zu den Lieblingsinstrumenten des berühmten Violonvirtuosen und Komponisten Archangelo Corelli. Matthias Alban, der oft fälschlich italianisiert "Albani" bezeichnet wird, hatte seine Werkstätte in Bozen. Eines seiner seltenen und zugleich schönsten Instrumente besitzt die Instrumentensammlung des Ferdinandeums. Die Violine aus dem Jahr 1706 wurde aus Schweizer Privatbesitz 1966 erworben ist bis auf einige reparierte Risse in Decke und Boden in ausgezeichnetem Erhaltungszustand. Die Arbeit ist sehr sorgfältig, das Deckenholz besonders schön, der Boden aus schlichtem Ahornholz. Der rötlich-braune Lack ist von italienischem Charakter. Wie auch Stradivari erreichte Alban erst in seiner zweiten Lebenshälfte die Höhe seiner Kunst. Im Ton sind seine Instrumente mit jenen Jakob Stainers auf das Engste verwandt.

Matthias Alban,
Violine, Bozen 1706
Inv.-Nr. 206

Joseph Anton Alban, Viola, Bozen 1767
Inv.-Nr. 189

Joseph Anton Alban ist ein naher Verwandter der Bozner Geigenbauerfamilie Alban. Obwohl er kein Sohn des Matthias Alban war, trugen seine Geigenzettel die Aufschrift: "Josephus filius Matth. Albani / me fecit, Bulsani in Tyroli". Dieser lateinische Genitiv hat sicherlich am meisten beigetragen zur Verbreitung des unrichtigen Namens Albani. Dass sich Joseph Anton, der von 1750 bis zu seinem Tod am 6. Juli 1771 in Bozen eine Werkstätte als Instrumentenmacher betrieb, als Sohn von Matthias ausgibt, zeugt einmal mehr von dessen anhaltender Berühmtheit.